Sie waren kürzlich zu Gast in der Talkshow von Markus Lanz. Dabei haben Sie gesagt, dass „Edward Snowden ein guter Demokrat“ sei. Wie meinten Sie das?

Ich versuche mich über einschlägige Onlinemedien über den Fall von Edward Snowden auf dem Laufenden zu halten. Wie auch immer die Menschen auf der Welt ihn oder sein Verhalten bewerten, es entsteht unweigerlich die Frage in meinem Kopf: Unter welchen Bedingungen darf ich mein Land verraten?

Zu erst einmal liebe ich es, bei solchen bedeutungsschwangeren Fragen die sprachliche Goldfeile hervorzuholen und sie genauer zu beleuchten. Verrät Edward Snowden wirklich sein Land? Oder eine Organisation seines Landes?

Wer fühlt sich verraten und wer ist das verraten worden? Sind das die selben Personen und Organisationen?

Stelle ich mir die Frage auch noch, wenn ich sie „runterbreche“? Auf meine Stadt, meinen Arbeitgeber, meine Familie? Gibt es jemanden, den ich niemals verraten darf? Und was schwingt alles im Wort „Verrat“ mit? Ist die positive Deutung nicht eigentlich: Ehrlichkeit. Wahrheit. Offenbarung. Die Befreiung eines Menschen aus einer objektiv oder subjektiv wahrgenommenen Spannung?

Liegt in der Offenbarung nicht auch eine Chance? Eine unangenehme zwar, aber eine Chance, die vieles zukünftiges auf solidere Beine stellt?

Die Frage schwebt nach wie vor durch meine Gehirnwindungen und will sich nicht setzen. Ich denke, es ist vielleicht eine maximal subjektive und individuelle Entscheidung, etwas zu verraten, was ex- oder implizit nicht verraten werden darf.

Es ist selbst für den „Verräter“ eine Herausforderung: Auf der einen Seite steht der sachlich dokumentierte und erkannte Missstand, auf der anderen Seite die Beziehungen zu Menschen, die ihm wichtig sind und die durch die Offenbarung möglicherweise Schaden erleiden oder die Angst, von der Gesellschaft, in er bisher gelebt hat, verstoßen zu werden.

Ich finde es wichtig, dass wir im Fall eines Verrates nicht nur einen Gerichtsprozess anstreben. Sondern auch eine ebenso wirksame Offenlegung über Motive und Erleben des Offenbarenden. Es muss ein Verfahren geben, dass die Redlichkeit und gleichzeitig das individuelle Leiden des „Verräters“ prüft und ggf. anerkennt.

Im Fall von Edword Snowden hieße das: Sollte er einem juristischen Prozess zugeführt werden, dann hoffe ich, dass er zuvor einem moralischen, psychologischen Prozess bekommt, in dem er sein Verhalten, seine Motive und sein Erleben schildern und unkommentiert, aber dennoch öffentlich und in der Diskussion mit Vertretern/-innen der Gesellschaft behaupten muss. Und das Ergebnis dieses Prozesses sollte auch nachvollziehbar den juristischen Prozess beeinflussen, wenn seine Motive und der Nutzen seiner Tat von der Zivilgesellschaft anerkannt wurden.

Als ich sagte, Snowden sei ein guter Demokrat, habe ich zur Grundlage benannt, was eigentlich (!) selbstverständlich sein sollte: Das man einander seine Meinungen frei äußern kann und das das respeketiert (!!), nicht unbedingt akzeptiert (!!!) wird. Er ist ein guter Demokrat, weil er das gelebt hat, was die Aufklärung vor 200 Jahren versucht hat zu etablieren: Das Demokratie eine sach- und lebensorientierte Gesellschaftsform ist, die klare Regeln hat, aber Zweifel an ihr zum Thema macht und den Dialog nicht scheut. Für mich ist einfach keine Demokratie, wenn es einen Geheimdienst gibt, der alle Widersacher der Gesellschaftsordnung zum Feind erklärt und dabei alle wohlgesonnenen Bürgerinnen und Bürger mitverdächtigt. Überhaupt halte ich gar nichts von Geheimdiensten. Sie sind für mich ein Mißtrauenszeichen: Des Staates in sein Volk, der Gegner der Demokratie in den Staat.