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Alle Werke von 2017 bis 2020

Vorwort

Wir können nicht anders. Nicht in der Zeit der Veränderung, nicht in der Zeit klarer Verhältnisse. Wir können nicht anders, als instinktiv eine Ordnung zu suchen. Eine Ordnung, die uns durch das Chaos leitet. Wir sehnen uns nach der Sicherheit, der Vergewisserung, dass es etwas gibt, dass nicht durch das Sieb der Vergänglichkeit flieht. Während wir schauen, wie der Sand der Zeit durch die kleinsten Maschen fällt und wir hoffen, es möge etwas zurückbleiben, treiben wir immer neue Fäden aus Stahl hinein. Mögen die Maschen kleiner und kleiner werden, verengen bis ins Unsichtbare hinein. Unsere Sehnsucht pumpt das Blut durch die Ordnung, die zu leben beginnt. Sie will nicht sterben, und deshalb treibt sie uns an, immer weiterzusuchen, und sie verspricht uns, es gäbe das eine, das Wahre. Bis wir den Betrug bemerken, ist es zu spät. Wir lösen uns auf, in alle Bestandteile, auf der Suche, werden zu eben diesem Sand, den wir eben noch durchsiebt haben.

ausarten, das artet aus

entartete kunst
gutartiger tumor der kultur
zerstört den bösartigen blick
banaler betrachter
artenvielvalt
verschreckt jene
die artig kaum emporsteigen wollen
weil es nicht ihrer art entspricht
zu leisten, gutes zu tun
ihnen auch die gemeinschaft fehlt
die liebe verspricht
so taumeln sie
im pulk der artgenossen
immer weiter in die tiefe
aus deren loch
kein gestreckter arm
mehr zu befreien hilft

20.07.2017

nur du nicht

sie stand da
im rahmen der tür
meines lumpigen zimmers
braune ansehnliche haare
schmiegten sich um sie
wortlos willentlich
kamen wir uns näher
nur meine freundin war sie nicht

jahre später
getrennte wege lagen hinter uns
die keiner bereute
und jeder erst bezweifelte
als sie plötzlich
in dieser bar
nur zwei worte genügten
und alles war wieder da
nur meine frau war sie nicht

hätte alles normal sein
weitergesponnen
persönliches verwoben werden können
festgezurrt die besitzansprüche
wie überall nur nicht bei uns
so traf ich dich wieder
an einem lauen sommertag
im oktober
die sache geritzt
seriöses auftreten ich
rückgrat eines wirbellosen
bisschen gequatsche hier
bisschen da
für einen moment alles wunderbar
die mutter meiner kinder warst du trotzdem nicht

13.7.17

sündenbock

adern platzen
blut ergiesst sich
unter der nackten, weißen haut
strömt zwischen fasern
ein kampfmal
des alltags
abgepresst durch die schmalen riemen
die das tier
vorm karren halten
der sündenbock
er zieht
und oben auf dem wagen
steht der sünder
speiend röchelt
das vieh
obwohl es zufrieden
auf einer wiese weilen könnte
wäre es nur nicht so feige

20.7.2017

erwachen

schwingen
den kopf baumeln lassen
rausche vorbei
unter leuchtend grünen blättern
kribbeln, süße leichtigkeit
die sich ausbreitet
oben helles freundliches blau
weiße flecken gehaucht
ziehen vorüber
die erinnerungen
kommen wieder
um uns ein zirkel
hohen grases
saftig, traurig
dass wir ihre verwandten erdrücken
mit nichts als einer decke
und dem gewicht
eines wichtigen lebensmomentes
für uns
zumindest
vielleicht
oder auch wahrscheinlich
nur für mich
dieser tag, diese sonne
diese nähe, diese leidenschaft
sind gegenwart in meinem kopf
von zeit zu zeit
nur in meinem

24.7.2017/22.07.2020

die katze im schatten

rot meine haut
vom blut
dass sie durchströmt
voll druck
als wöllte es meine adern
zum bersten bringen
diese unheimliche hitze
meinen körper
innen heraus
glühen lässt
die sekunden
als stunden getarnt
hinkriechen
unerträglich der moment
an dem alles zu ende geht
und neben mir im schatten
sitzt die katze
und leckt ihre pfoten

hinterlassen:
geschichten
die nie wieder erzählt werden
egal wie schön
weil jeder gedanke daran
in die vergangenheit katapultiert
zurück in den augenblick
als alles zu retten war
enttäuschung
wo wir getäuscht haben
ernüchert
vom neonlicht, kaltweiss
neben mir im schatten
sitzt deine katze
und leckt ihr fell

verdammte katze
will sich nicht verpissen
lässt sich nicht vertreiben
selbst als alles neu ist
werfe mit flüchen nach ihr
höchstens weicht sie aus

als der sturm
im hirn
hinüber war
leuchtet mir auf
dass eine katze stets ihre wege geht
nun ist sie da und doch tot
ein teil von mir

12.11.2017/21.7.2020

die steine auf dem felde

wir sind stark
und schwer
liegen wir da
und bewegen uns nicht

wir hören nicht
das gejammer der traurigen
wir spüren nicht
das warme rote plasma
dass uns benetzt
wir schmecken nicht
die salzigen tropfen
die auf uns niederrinnen
wir fühlen nicht
wie sich die schweren, trägen körper
auf uns niederstürzen
wir sehen nicht
wer das wort ergriff
und wer das messer

denn alle zeit sind wir schon hier
der regen wäscht die tränen fort
die sonne dorrt die leiber aus
der wind schleift sie
die flut trägt sie fort
und wenn etwas übrig bleibt
dann legt sich bald staub darüber

wir sind stark
und schwer
liegen wir da
und bewegen uns nicht

20.07.2018

jugend

lasst sie fallen
die masken
aus sonnenbrillen, frisuren und kopfhörern
aus gehabe, coolness und unnahbarkeit
ihr seid bereits
was ihr seid
nur der schein
ändert nicht das sein
er macht aus euren möglichkeiten
eine sackgasse
ihr werdet
durch das werden
und das wird stärker sein
als das möchte

29.7.18

schaffen

arbeit eine deutsche sau
treibt sie durch das dorf
wenn sie dochmal stehen bleibt
nennt man sie einfach faul

dabei sind wir doch willig
wie der löwenzahn gemein
gedeihen einzig prächtig
auf der freien wiese

arbeit schafft werte
füllt die löcher in unserem leben
ein alibi
als fluchthelfer

unsere rucksäcke
werden voller und schwerer
unsere lebenszeit
kürzer und leerer

arbeit macht frei
nur vom selber leben
denken und
verantwortung übernehmen

arbeit ist ein geist
der uns begleitet
ein guter
wenn er die bäuche füllt
ein schlechter
wenn er fremde taschen füllt

02.05.2019/21.7.2020