Sie fallen stark durch subtil-provokante Texte auf. Ranicki bezeichnet sie schon als Brandstifter der Verlagshäuser. Wie kommen Sie mit Ihren Themen bei den Verlagen an?

Man soll ja die Hand nicht beißen, die einen füttert. Die Verlage und Autoren stehen da in einem engen Verhältnis. Ich würde es mir nie erlauben, einem Verlag meine Skripte zu geben. Die Geschäftsführer und Lektoren sind doch einfallslos und unfähig, Literatur als Sprengsätze mit Intellekt zu betrachten. Vor 100 Jahren waren Bücher noch die Urheber von Revolutionen. Heute will das keiner mehr, aber mit dem Hier und Jetzt ist auch keiner zufrieden. Also wenn ich das in aller Öffentlichkeit sagen darf, die Eliten schießen da weit über’s Ziel hinaus.

Schon manches Buch hat eine Gesellschaft bereichert, statt die Verhältnisse umzuwerfen. Wir reden auch von Streitkultur. Nun frage ich Sie: Worüber wollen wir denn überhaupt streiten? Über die Abgasnorm? Energiepolitik? Elterngeld? Ach was, das sind doch gemachte Dinge. Da stehen die Entscheidungen vor den Entscheidungen. Man muss über die Fundamente streiten: Wer hat wie wo das Sagen.

Ein kurzer Exkurs in Ihre Biografie: Sie haben sich für alles interessiert, nur für die Schule nicht. Abi mit 3,0, bereuen Sie Ihre Einstellung?

Den einzigen Fehler, den ich gemacht habe, ist die Fresse zu halten. Das bereue ich. Ich hasse das deutsche Schulsystem, aber nicht die Lehrer, Direktoren und Spezialisten, ich hasse auch nicht meine Klassenkameraden, weil sie Markenklamotten tragen. Und ich auch. Ich hasse die Theoretiker von deutscher Seele, die den Lehrern die Kräfte und Phantasie mit ihren bürokratischen Ketten fesseln.

Das ist eine Frechheit, dass man sich in einem modernen Staat rechtfertigen muss, wenn man neue Wege gehen will. Der Staat behandelt 12-jährige wie Kleinkinder, raubt ihnen die Stimme, kein Wunder, dass sie sich die Anerkennung woanders suchen. Perspektivlosigkeit beginnt nicht mit dem Schulabschluss, sondern mit der Einsicht, nicht gefragt zu werden. Wenn ich auf Ihre Frage zurückkomme. Nein, ich bereue nichts. Ich würde es wieder tun, denn ich habe mehr über das Leben gelernt als über irgendein Fach und das ist in jungen Jahren ein schweres Pfund, denn das Leben wartet überall.

Sie finden in Ihrer Arbeit als Elementarpädagoge Glück. Sie sind glücklich und werden das lange sein, bis…

… bis ich die Kinder verliere, alle anderen gegen jede Form der Bewegung sind und meine große Liebe mich verlässt. Aber das sind Dinge, die stehen solange außer Frage, bis ich nicht mehr überzeugt bin, richtig zu leben. Wo finden wir unser Glück? In einem Haus, Auto, Frau und Kindern? Oder im Lesen eines Buches? Oder ist Glück eine Zeit? Ich lebe im Glück. Hans im Glück zum Beispiel. Er wanderte die ganze Zeit durch das Land und war glücklich dabei. Weil er wanderte? Weil er Menschen sammelte? Wir leben Glück zu finden und so zu leben, dass wir dieses Glück erhalten.

Glück ist persönlich, einzigartig. Glück ist auch eine Illusion. Denn unsere Vorstellungen von Glück korrelieren stark mit den Vorstellungen der Gesellschaft. Ein Haus, ein Auto, eine Frau und Kinder sind Vorstellungen der „westlichen“ Welt. Von denen wurde ich geprägt. Auf einem anderen Kontinent sieht das wieder anders aus. Aber auch schon beim Nachbarn. Wir reden oft davon, glücklich werden zu wollen. Die wenigsten nehmen sich das auch vor.

Denn wer Glück hat, wird beneidet. Und Neid ist böse. Aber warum? Weil es Menschen gibt, die trotz Erdrotation die eigene Bewegung vergessen. Die Ursache für „In-Jogging-Hose-auf-dem-Sofa“-Liegen ist keine Frage von körperlichen Dissonanzen. Es ist die Faulheit im Kopf. Wer sich nicht körperlich bewegt, hat auch keine Ziele mehr. Aber die Menschen darin zu belehren, wie sie ihr Glück finden, ist mein falscher Ansatz. Ich bin da eher wie die chinesische Regierung: Ich warte einfach, bis alles zusammenbricht.

Danke für diesen umfassenden Eingang in Ihre Überlegungen über Glück. Wenn ich das in den letzten Zeilen richtig höre, dann sind Sie der klassische Mitläufer?

Natürlich. Ich würde immer mitlaufen. Egal welches Regime. Den Selbstmord aus politischer Überzeugung zu wagen, halte ich für eine fatale und krankhafte Einstellung. Es gibt immer Fluchtmöglichkeiten. Nehmen wir das NS-Regime.

Ich wäre eingetreten, aber hätte auf Karriere verzichtet. Ich hätte mir einen Job gesucht, der wenig von mir verlangt und vor allem wenig Einfluss hat. Dafür hätte ich sogar auf Geld verzichtet. Ich beuge mich so dem Regime, kann aber Überleben und meine Basis für später legen. Wenn ich natürlich zu den Feinden gehöre, dann bietet sich das Exil an. Aber das ist eine Frage von Aufrichtigkeit.

Sie haben ja einen eng gestrickten Terminkalender, da ist es eine Exklusivität ein Interview mit Ihnen zu bekommen. Wie kommen Sie mit dem Erfolgsdruck klar?

Erfolg ist irgendwo relativ und abhängig von den eigenen Zielen. Erfolg ist nicht nur die Summe richtiger Entscheidungen, er ist auch hausgemacht. Wenn ich mir vornehme ein Essen zu kochen und ich schaffe das, ist das ein Erfolg. So ist das dann auch mit der Lyrik.

Ich erwarte wenig, also gerate ich auch nicht unter Druck. Das ist unter Künstlern so üblich. Für Sie sieht das sicher anders aus. Sie dachten sich vielleicht, wie kriege ich den Kaubitzsch nur zu einem Interview? Dann haben Sie eine Menge richtiger Entscheidungen getroffen. Ich gratuliere Ihnen. (lacht)

Eines der letzten Gedichte greift sehr offen die kommunistische Utopie auf. Versteckte Sehnsüchte?

Das ist albern. Ich bin froh, dass der Aufbau des Kommunismus gescheitert ist. Stellen Sie sich vor, Benz hätte das Auto vorm Rad erfunden! Wir würden jetzt mit eckigen Rädern fahren… Ich sehe im Kommunismus eine Etappe der Menschheitsentwicklung, aber nicht ein Konkurrenzsystem zum Kapitalismus.

Der Kapitalismus verbrennt all die Menschen, die 1. nur an sich denken und 2. nicht an andere denken. Logisch. Ich könnte auch sagen, nicht ganz ohne biblischen Bezug, dass die Bescheidenen und Gewissenhaften überleben werden. Sie erwartet das Paradies. Unter Putin. Eine feine Sache.

Sie leben seit gut 28 Jahren in Ostdeutschland. Fühlen Sie sich als Ossi?

Was ist ein Ossi? Kleiner Scherz. Nach 21 Jahren lernt man seine Heimat sehr gut kennen. Ich bin in meiner Kindheit viel durch die Welt gereist und habe einige Einstellungen mitgebracht, die mir auch eine kritischen Blick erlauben.

Auch hinter die Verkehrsschilder. Ich komme aus einem gutbürgerlichen Milieu mit Patchwork-Familien-System. Mit dem stabilen Elternhaus hat das nie so geklappt, dafür waren wir nicht arm. Auch ein Vorteil. Ich kann mir gut vorstellen, dass viele Ostdeutsche ihre Heimat nicht verlassen. Nicht der Reiselust wegen, sondern weil ihnen das Geld fehlt. Mal ganz von denen abgesehen, die für fast immer gehen.

Die Arbeitslosigkeit ist ein Problem, dass man ernst nehmen kann, ich behandle das Thema eher kreativ. Der Kultursektor entdeckt Arbeitslose zum Beispiel als Akteure für Kulturprojekte. Eine tolle Idee. Oder der 1000-Euro-für-alle-Slogan der PDS, äh Linkspartei, äh WASG, ach nennen wir das Kind beim Namen: Sozialisten. Von diesem Vorschlag ist keine Substanz übrig geblieben.

Nun, auch ich schweife wieder ab, eine Krankheit vieler Intellektueller. Ich höre mich eben gern selbst reden, dann muss ich weniger zuhören.

Ich bin in erster Linie Deutscher. Viele meinen der Stadtbezirksfußballverein sei entscheidend, aber darüber kann ich nur spekulieren. Ich halte nichts von Lokalpatriotimus. Die meisten laufen ihm blind zu und übersehen dabei den Tellerrand und klatschen mit dem Kopf auf die Tischplatte.

Ich hatte kürzlich das Vergnügen mit Bundeskanzlerin Merkel zu sprechen. Dabei fiel auch Ihr Name. Kennen Sie sich gut?

Wir trafen uns vor einiger Zeit auf einem Banquett für arme Lyriker. Sie stand da am Büffet und schien etwas orientierungslos. So sind wir ins Gespräch gekommen. Sie ist äußerst sympathisch. Eine starke Frau, ich halte Frauen sowieso für intelligenter, meiner Meinung nach nur leider umgeben von maskulinen Vollidioten. Entschuldigen Sie, sonst habe ich nicht so einen Ausfall, aber bei diesem Thema kenne ich kein Fair-Play.