Als Sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Fernseher erfanden, wollten Sie damit der intelligenten und schönen Kunstform der „Literatur“ einen hirnlosen und einfältigen Gegner entgegenstellen, nur um zu zeigen, dass Wahrheit, Kunst und Freiheit nicht vernichtet werden können. Nun, da die Unterlegenheit so auf der Hand liegt: Werden sie das Ende der Fernseh-Ära literarisch begleiten? Und: wird man es live übertragen?

Ja richtig, das war damals ein schwieriges Projekt, prinzipiell gab es eine starke Konkurrenz, die tatsächlich meinte, mit Fernsehen bilden zu können. Ein schwerer Irrtum. Manfred von Ardenne, mein damaliger Mitstreiter und guter Freund, sagte einmal: „Die Natur strahlt vor edlem Glanz. Der Fernsehapparat ist einfach nur matt.“

Paradox an unserem Vorhaben war ja, dass wir die bestehende Freiheit ausnutzten um ihre Unverwundbarkeit zu testen. Literarisch wird der Niedergang des Fernsehens keinesfalls begleitet, über eine Live-Übertragung der Abschaltung der letzten Fernsehstation würde ich mich natürlich amüsiert zeigen, vor allem um danach die Gesichter des Medienpopanz zu sehen.

Herr K., Sie haben ja ein ganzes Stück Literaturgeschichte schon erlebt, aus erster Hand sozusagen. Bertolt Brecht zum Beispiel widmete Ihnen einen ganzen Band Aphorismen „Geschichten vom Herr K.“. Und auch in Goethes Faust hatten Sie eine kleine Nebenrolle als Mephisto. Welche Weltliteratur wird Ihr nächstes Abenteuer hervorbringen?

Ja, wenn Sie mich so fragen, ist das ganze sehr heikel. Autor und Publikum leben in einem stetigen Spannungsfeld: Der Autor soll überraschen, geradezu überzeugen und das Publikum soll applaudieren. Keine leichten Rahmenbedingungen.

Ich plane zur Zeit einen Blockbuster, wie Sie sicherlich wissen, spielen mir da meine großzügigen Kontakte nach Hollywood (USA) in die Hände. Ich verrate Ihnen schon mal den Titel des Entwurfes: „Give me my money back.“

Sie stehen bereits mit 21 Jahren im Zenit ihres Lebens. Die Ziele scheinen unbekannt. Was werden Sie machen?

Ich werde erstmal schauen, was das Glück für Tücken hat. Ganz zufrieden kann man nie sein, man hat ja immer was zu tun. Auch mal unangenehme Sachen.

Wenn ich an Kinder denke, dann auch an Windeln. Ich lasse mich ungern beunruhigen durch die steilen Karrieren meiner Generation. Das sind Meteoriten. Die verglühen irgendwann. Ich bleibe bodenständig. Ein Haus, ein ordentliches Auto, eine Frau und kleine süße Kinder, das ist doch natürlich.

Sie fallen stark durch subtil-provokante Texte auf. Ranicki bezeichnet sie schon als Brandstifter der Verlagshäuser. Wie kommen Sie mit Ihren Themen bei den Verlagen an?

Man soll ja die Hand nicht beißen, die einen füttert. Die Verlage und Autoren stehen da in einem engen Verhältnis. Ich würde es mir nie erlauben, einem Verlag meine Skripte zu geben. Die Geschäftsführer und Lektoren sind doch einfallslos und unfähig, Literatur als Sprengsätze mit Intellekt zu betrachten. Vor 100 Jahren waren Bücher noch die Urheber von Revolutionen. Heute will das keiner mehr, aber mit dem Hier und Jetzt ist auch keiner zufrieden. Also wenn ich das in aller Öffentlichkeit sagen darf, die Eliten schießen da weit über’s Ziel hinaus.

Schon manches Buch hat eine Gesellschaft bereichert, statt die Verhältnisse umzuwerfen. Wir reden auch von Streitkultur. Nun frage ich Sie: Worüber wollen wir denn überhaupt streiten? Über die Abgasnorm? Energiepolitik? Elterngeld? Ach was, das sind doch gemachte Dinge. Da stehen die Entscheidungen vor den Entscheidungen. Man muss über die Fundamente streiten: Wer hat wie wo das Sagen.

Ein kurzer Exkurs in Ihre Biografie: Sie haben sich für alles interessiert, nur für die Schule nicht. Abi mit 3,0, bereuen Sie Ihre Einstellung?

Den einzigen Fehler, den ich gemacht habe, ist die Fresse zu halten. Das bereue ich. Ich hasse das deutsche Schulsystem, aber nicht die Lehrer, Direktoren und Spezialisten, ich hasse auch nicht meine Klassenkameraden, weil sie Markenklamotten tragen. Und ich auch. Ich hasse die Theoretiker von deutscher Seele, die den Lehrern die Kräfte und Phantasie mit ihren bürokratischen Ketten fesseln.

Das ist eine Frechheit, dass man sich in einem modernen Staat rechtfertigen muss, wenn man neue Wege gehen will. Der Staat behandelt 12-jährige wie Kleinkinder, raubt ihnen die Stimme, kein Wunder, dass sie sich die Anerkennung woanders suchen. Perspektivlosigkeit beginnt nicht mit dem Schulabschluss, sondern mit der Einsicht, nicht gefragt zu werden. Wenn ich auf Ihre Frage zurückkomme. Nein, ich bereue nichts. Ich würde es wieder tun, denn ich habe mehr über das Leben gelernt als über irgendein Fach und das ist in jungen Jahren ein schweres Pfund, denn das Leben wartet überall.

Sie finden in Ihrer Arbeit als Elementarpädagoge Glück. Sie sind glücklich und werden das lange sein, bis…

… bis ich die Kinder verliere, alle anderen gegen jede Form der Bewegung sind und meine große Liebe mich verlässt. Aber das sind Dinge, die stehen solange außer Frage, bis ich nicht mehr überzeugt bin, richtig zu leben. Wo finden wir unser Glück? In einem Haus, Auto, Frau und Kindern? Oder im Lesen eines Buches? Oder ist Glück eine Zeit? Ich lebe im Glück. Hans im Glück zum Beispiel. Er wanderte die ganze Zeit durch das Land und war glücklich dabei. Weil er wanderte? Weil er Menschen sammelte? Wir leben Glück zu finden und so zu leben, dass wir dieses Glück erhalten.

Glück ist persönlich, einzigartig. Glück ist auch eine Illusion. Denn unsere Vorstellungen von Glück korrelieren stark mit den Vorstellungen der Gesellschaft. Ein Haus, ein Auto, eine Frau und Kinder sind Vorstellungen der „westlichen“ Welt. Von denen wurde ich geprägt. Auf einem anderen Kontinent sieht das wieder anders aus. Aber auch schon beim Nachbarn. Wir reden oft davon, glücklich werden zu wollen. Die wenigsten nehmen sich das auch vor.

Denn wer Glück hat, wird beneidet. Und Neid ist böse. Aber warum? Weil es Menschen gibt, die trotz Erdrotation die eigene Bewegung vergessen. Die Ursache für „In-Jogging-Hose-auf-dem-Sofa“-Liegen ist keine Frage von körperlichen Dissonanzen. Es ist die Faulheit im Kopf. Wer sich nicht körperlich bewegt, hat auch keine Ziele mehr. Aber die Menschen darin zu belehren, wie sie ihr Glück finden, ist mein falscher Ansatz. Ich bin da eher wie die chinesische Regierung: Ich warte einfach, bis alles zusammenbricht.

Danke für diesen umfassenden Eingang in Ihre Überlegungen über Glück. Wenn ich das in den letzten Zeilen richtig höre, dann sind Sie der klassische Mitläufer?

Natürlich. Ich würde immer mitlaufen. Egal welches Regime. Den Selbstmord aus politischer Überzeugung zu wagen, halte ich für eine fatale und krankhafte Einstellung. Es gibt immer Fluchtmöglichkeiten. Nehmen wir das NS-Regime.

Ich wäre eingetreten, aber hätte auf Karriere verzichtet. Ich hätte mir einen Job gesucht, der wenig von mir verlangt und vor allem wenig Einfluss hat. Dafür hätte ich sogar auf Geld verzichtet. Ich beuge mich so dem Regime, kann aber Überleben und meine Basis für später legen. Wenn ich natürlich zu den Feinden gehöre, dann bietet sich das Exil an. Aber das ist eine Frage von Aufrichtigkeit.

Sie haben ja einen eng gestrickten Terminkalender, da ist es eine Exklusivität ein Interview mit Ihnen zu bekommen. Wie kommen Sie mit dem Erfolgsdruck klar?

Erfolg ist irgendwo relativ und abhängig von den eigenen Zielen. Erfolg ist nicht nur die Summe richtiger Entscheidungen, er ist auch hausgemacht. Wenn ich mir vornehme ein Essen zu kochen und ich schaffe das, ist das ein Erfolg. So ist das dann auch mit der Lyrik.

Ich erwarte wenig, also gerate ich auch nicht unter Druck. Das ist unter Künstlern so üblich. Für Sie sieht das sicher anders aus. Sie dachten sich vielleicht, wie kriege ich den Kaubitzsch nur zu einem Interview? Dann haben Sie eine Menge richtiger Entscheidungen getroffen. Ich gratuliere Ihnen. (lacht)

Eines der letzten Gedichte greift sehr offen die kommunistische Utopie auf. Versteckte Sehnsüchte?

Das ist albern. Ich bin froh, dass der Aufbau des Kommunismus gescheitert ist. Stellen Sie sich vor, Benz hätte das Auto vorm Rad erfunden! Wir würden jetzt mit eckigen Rädern fahren… Ich sehe im Kommunismus eine Etappe der Menschheitsentwicklung, aber nicht ein Konkurrenzsystem zum Kapitalismus.

Der Kapitalismus verbrennt all die Menschen, die 1. nur an sich denken und 2. nicht an andere denken. Logisch. Ich könnte auch sagen, nicht ganz ohne biblischen Bezug, dass die Bescheidenen und Gewissenhaften überleben werden. Sie erwartet das Paradies. Unter Putin. Eine feine Sache.