Sie leben seit gut 28 Jahren in Ostdeutschland. Fühlen Sie sich als Ossi?

Was ist ein Ossi? Kleiner Scherz. Nach 21 Jahren lernt man seine Heimat sehr gut kennen. Ich bin in meiner Kindheit viel durch die Welt gereist und habe einige Einstellungen mitgebracht, die mir auch eine kritischen Blick erlauben.

Auch hinter die Verkehrsschilder. Ich komme aus einem gutbürgerlichen Milieu mit Patchwork-Familien-System. Mit dem stabilen Elternhaus hat das nie so geklappt, dafür waren wir nicht arm. Auch ein Vorteil. Ich kann mir gut vorstellen, dass viele Ostdeutsche ihre Heimat nicht verlassen. Nicht der Reiselust wegen, sondern weil ihnen das Geld fehlt. Mal ganz von denen abgesehen, die für fast immer gehen.

Die Arbeitslosigkeit ist ein Problem, dass man ernst nehmen kann, ich behandle das Thema eher kreativ. Der Kultursektor entdeckt Arbeitslose zum Beispiel als Akteure für Kulturprojekte. Eine tolle Idee. Oder der 1000-Euro-für-alle-Slogan der PDS, äh Linkspartei, äh WASG, ach nennen wir das Kind beim Namen: Sozialisten. Von diesem Vorschlag ist keine Substanz übrig geblieben.

Nun, auch ich schweife wieder ab, eine Krankheit vieler Intellektueller. Ich höre mich eben gern selbst reden, dann muss ich weniger zuhören.

Ich bin in erster Linie Deutscher. Viele meinen der Stadtbezirksfußballverein sei entscheidend, aber darüber kann ich nur spekulieren. Ich halte nichts von Lokalpatriotimus. Die meisten laufen ihm blind zu und übersehen dabei den Tellerrand und klatschen mit dem Kopf auf die Tischplatte.

Ich hatte kürzlich das Vergnügen mit Bundeskanzlerin Merkel zu sprechen. Dabei fiel auch Ihr Name. Kennen Sie sich gut?

Wir trafen uns vor einiger Zeit auf einem Banquett für arme Lyriker. Sie stand da am Büffet und schien etwas orientierungslos. So sind wir ins Gespräch gekommen. Sie ist äußerst sympathisch. Eine starke Frau, ich halte Frauen sowieso für intelligenter, meiner Meinung nach nur leider umgeben von maskulinen Vollidioten. Entschuldigen Sie, sonst habe ich nicht so einen Ausfall, aber bei diesem Thema kenne ich kein Fair-Play.

2013 war das Jahr wichtiger politischer Entscheidungen: Bewältigung der Finanz- und Staatsschuldenkrise, Dortmund gegen Bayern im Finale der Championsleague und die Bundestagswahl. Apropos Bundestagswahl: Darf ich fragen, wen Sie gewählt haben?

Sie dürfen. (Schweigt) (Lacht). Ich mache es kurz. Erststimme: SPD. Zweitstimme: Piraten. Für mich sind die Piraten bereits ein adäquater FDP-Ersatz geworden. Basisdemokratisch, liberal, innovativ.

Ich traue ihnen zwar keine Regierungsmehrheit zu, aber in Kombination mit einer Volkspartei können sie einen guten Draht zwischen Volk und Regierung bilden.

Die Zeit der Piraten wird noch kommen, wenn nämlich die digitale Kommunikation und Arbeit flächenddeckend eingetreten ist. Wenn der Umgang mit Software und Internet so selbstverständlich geworden sein wird, dass die Benutzung des PC oder einer anderen Schnittstelle nicht mehr als Barriere wahrgenommen werden wird.

Ich glaube alle anderen Parteien sind nicht glaubwürdig. Der SPD wünsche ich, dass sie endlich begreift, dass ihr „Arbeiterparteiimage“ nicht mehr zeitgemäß ist, wenn es bereits mehr Angestellte als Arbeiter gibt. Wenn sie diesen Bewusstseinswandel vollzieht, eröffnen sich auch neue Themen und Bevölkerungsgruppen.

Jedem unzufriedenen Demokraten empfehle ich, den Wahlzettel ungültig zu machen. Noch ignorieren die parlamentarischen Parteien diese Kategorie einer Wahl (wie auch die mangelhafte Legitmation ihrer Vertretung den Stimmen aller Wahlberechtigten zu Folge – Die Fraktion der Nichtwählerinnen und Nichtwähler wäre die zweitgrößte im Deutschen Bundestag!)

Es ist ja auch eine Frage des Extremismus: Die Demokratie, die nicht zuhört, die nicht spricht, die nicht widerspricht, stirbt am Vertrauenstod.

Es gab ein Mal ein Manifest, dass besagte: „Märkte sind Gespräche“. Nehmt euch ein Beispiel, Krawattenköpfe: Demokratie ist Dialog!

Ein Punkt noch zur Bundestagswahl: Die FDP, die Sie jahrelang mit Zweitstimme wählten, ist nach 64 Jahren aus dem Parlament ausgeschieden. Ihr Resümée?

Es war absehbar. Ich habe es ja sogar unterstützt! Die FDP braucht diesen Schnitt. Er schmerzt, tut weh, als liberal eingestellter Mensch besonders.

Was soll’s? Sie hat die Programmatik vergeigt, den Anschluss ans Volk verloren. Sich nicht erklärt, nicht mit sich reden lassen. Letztlich scheitert der Liberalismus der FDP (der meiner Meinung keiner ist) an Überfrachtung von Ansprüchen und der Blindheit vor der Realität.

Ich kann die freie Marktwirtschaft gutheißen, wenn die Voraussetzungen stimmen: Personalkosten sind überall gleich, die gesetzlichen Rahmenbedingungen auch. Die Kaufkraft sowieso. Dann funktioniert sie. Aber in einer sich entwickelnden Welt, wo noch genügend Staaten in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung hinterherhinken, da braucht es Verteilung und nicht Akkumulation.

Das große Ziel wäre der Liberalismus gewesen, wie der Sozialismus für DIE LINKE.

Ich schwanke nicht gern in Geschichte. Errungenschaften wie 64 Jahre Parlamentsbeteiligung, den ersten Bundespräsidenten stellen zu dürfen, im Grunde Urheber des Grundgesetzes und des Wirtschaftswunders zu sein, konnten leider weder die geistige Reifung hervorrufen, noch den nötigen Stolz befeuern, den eine liberale Partei immer braucht. Die Freiheit zu erklären ist eine schwere Aufgabe, erfordert Ausdauer, Gesprächsbereitschaft und Offenheit.

Ich dachte nach, über einen Eintritt, über ein Pamphlet, aber was soll’s! Der Liberalismus der FDP ist gescheitetert. Möge er neu entworfen werden. Von einer anderen Partei. Den Piraten, so hoffe ich. Vielleicht.

Kürzlich berichtete die Dresdner Morgenpost über eine Schmiererei am Kristallpalast. Ein Graffiti prankt auf der Front mit dem Satz: „Eure Liebe kotzt mich an!“. Böse Zungen der Kulturszene behaupten, Sie wären darin verwickelt. Was sagen Sie dazu?

Was soll ich dazu sagen, außer dass irgendein Boulevardschmierfink eine Beziehung zwischen mir und einer „Straftat“ herstellt? Ich kann nur vorsichtig hineininterpretieren, was der Autor damit meinte. Aber ich werde das lassen, sonst unterstellen Sie mir tatsächlich noch die Urheberschaft!

Bei aller Liebe! Sie können froh sein, dass ich, im Gegensatz zu Ihnen, besonnen und aufgeklärt an so einen Fall herangehe. Ganz klar ist, es will uns jemand ein Thema aufdrücken: Er oder Sie schreibt es in bunten, großen Lettern an eine Hauswand, an der jeden Tag viele Menschen vorbeigehen.

Ich persönlich mag so etwas nicht, weil es aufmerksamkeitserheischend ist und nicht sonderlich sachorientiert. Ich meine, was ändert sich schon nach so einem Ausspruch? Gerade dieser, der ja Raum für Interpretationen lässt?

„Eure Liebe kotzt mich an“ enthält immerhin Adressat und Absender. Jemandes Gefühl scheint jemanden zu überfordern. Nun, der Kristallpalast, an dem sich die „Schmiererei“ befindet, ist ein Kino. Nicht wenige Filme sind auch Liebesfilme. Vielleicht ist hier die Quelle des Ärgers zu suchen.

Ich persönlich nehme war, dass ich im Fernsehen und Kino im Grunde genommen immer die selbse Geschichte einer Liebe erzählt bekomme. Oft idealisiert, selten realistisch und extrem selten weise und bereichernd. Mich beschleicht dabei immer die Frage: War’s das? Soll’s das gewesen sein? Mann findet Frau, beide heiraten, bekommen Kinder und wenn sie nicht gestorben sind usw.? Inklusiver der Rollenklischées. Ich zweifle.

Meine Beobachtungen stimmen mit den Geschichten der Filme selten über ein: Ich erlebe Menschen, die ewig auf der Suche sind, von Partner zu Partner wechseln. Ich erlebe Menschen, die sich festgelegt haben und damit unglücklich sind. Ich erlebe Menschen, die sich festgelegt haben und sich mit kleinen Belohnungen darüber hinwegtäuschen, dass sie ihre Entscheidung bereuen.

„Die“ Liebe ist – das ist meine Erkenntnis – ein Irrtum. Sie gibt es nicht. Wer liebt, um selbst geliebt zu werden, sollte eher mit einem guten Freund oder einer guten Freundin reden, über Geschehenes oder Versagtes.

Früher hätte ich gesagt: „Liebe ist der Mantel der Fortpflanzung.“ Ich hatte mich getäuscht, weil es homosexuelle Paare, Objektliebe, Fetische etc. nicht erklärt bzw. diskriminiert. Liebe ist vielleicht ein Konsens: zwischen mir und einem anderen Menschen (oder Lebewesen oder Objekt). Dass man gemeinsam Lebenszeit verbringen möchte, so wie man gemeinsam als Kind mit jemanden gespielt hat. Und wenn man gerufen wird, dann verabschiedet man sich – und sieht sich vielleicht wieder.

Sie waren kürzlich zu Gast in der Talkshow von Markus Lanz. Dabei haben Sie gesagt, dass „Edward Snowden ein guter Demokrat“ sei. Wie meinten Sie das?

Ich versuche mich über einschlägige Onlinemedien über den Fall von Edward Snowden auf dem Laufenden zu halten. Wie auch immer die Menschen auf der Welt ihn oder sein Verhalten bewerten, es entsteht unweigerlich die Frage in meinem Kopf: Unter welchen Bedingungen darf ich mein Land verraten?

Zu erst einmal liebe ich es, bei solchen bedeutungsschwangeren Fragen die sprachliche Goldfeile hervorzuholen und sie genauer zu beleuchten. Verrät Edward Snowden wirklich sein Land? Oder eine Organisation seines Landes?

Wer fühlt sich verraten und wer ist das verraten worden? Sind das die selben Personen und Organisationen?

Stelle ich mir die Frage auch noch, wenn ich sie „runterbreche“? Auf meine Stadt, meinen Arbeitgeber, meine Familie? Gibt es jemanden, den ich niemals verraten darf? Und was schwingt alles im Wort „Verrat“ mit? Ist die positive Deutung nicht eigentlich: Ehrlichkeit. Wahrheit. Offenbarung. Die Befreiung eines Menschen aus einer objektiv oder subjektiv wahrgenommenen Spannung?

Liegt in der Offenbarung nicht auch eine Chance? Eine unangenehme zwar, aber eine Chance, die vieles zukünftiges auf solidere Beine stellt?

Die Frage schwebt nach wie vor durch meine Gehirnwindungen und will sich nicht setzen. Ich denke, es ist vielleicht eine maximal subjektive und individuelle Entscheidung, etwas zu verraten, was ex- oder implizit nicht verraten werden darf.

Es ist selbst für den „Verräter“ eine Herausforderung: Auf der einen Seite steht der sachlich dokumentierte und erkannte Missstand, auf der anderen Seite die Beziehungen zu Menschen, die ihm wichtig sind und die durch die Offenbarung möglicherweise Schaden erleiden oder die Angst, von der Gesellschaft, in er bisher gelebt hat, verstoßen zu werden.

Ich finde es wichtig, dass wir im Fall eines Verrates nicht nur einen Gerichtsprozess anstreben. Sondern auch eine ebenso wirksame Offenlegung über Motive und Erleben des Offenbarenden. Es muss ein Verfahren geben, dass die Redlichkeit und gleichzeitig das individuelle Leiden des „Verräters“ prüft und ggf. anerkennt.

Im Fall von Edword Snowden hieße das: Sollte er einem juristischen Prozess zugeführt werden, dann hoffe ich, dass er zuvor einem moralischen, psychologischen Prozess bekommt, in dem er sein Verhalten, seine Motive und sein Erleben schildern und unkommentiert, aber dennoch öffentlich und in der Diskussion mit Vertretern/-innen der Gesellschaft behaupten muss. Und das Ergebnis dieses Prozesses sollte auch nachvollziehbar den juristischen Prozess beeinflussen, wenn seine Motive und der Nutzen seiner Tat von der Zivilgesellschaft anerkannt wurden.

Als ich sagte, Snowden sei ein guter Demokrat, habe ich zur Grundlage benannt, was eigentlich (!) selbstverständlich sein sollte: Das man einander seine Meinungen frei äußern kann und das das respeketiert (!!), nicht unbedingt akzeptiert (!!!) wird. Er ist ein guter Demokrat, weil er das gelebt hat, was die Aufklärung vor 200 Jahren versucht hat zu etablieren: Das Demokratie eine sach- und lebensorientierte Gesellschaftsform ist, die klare Regeln hat, aber Zweifel an ihr zum Thema macht und den Dialog nicht scheut. Für mich ist einfach keine Demokratie, wenn es einen Geheimdienst gibt, der alle Widersacher der Gesellschaftsordnung zum Feind erklärt und dabei alle wohlgesonnenen Bürgerinnen und Bürger mitverdächtigt. Überhaupt halte ich gar nichts von Geheimdiensten. Sie sind für mich ein Mißtrauenszeichen: Des Staates in sein Volk, der Gegner der Demokratie in den Staat.

Sie finden Frauen intelligenter. Können Sie das näher ausführen?

Frauen haben in unserer Gesellschaft einen schlechten Status. Sie gebären uns, sie lieben uns und anschließend treten wir sie, um von ihnen los zu kommen und hindern sie an Karriere. Das ist traurig.

Wir reden immer von Menschen und haben dabei keine Ahnung von Fairness. Das ist vielleicht auch dieser Leistungspenetration geschuldet.

Wenn man ein Leistungssystem unterhält, gewinnt man starke Leistungsträger, aber frustrierte und schwache Teams. Deshalb klappt das Teamwork in Deutschland auch nicht so gut. Nur in flachen Hierarchien.

Sehen Sie, ich schweife schon wieder ab. Frauen haben mehr verdient. Wie wäre eine Quote? Nicht schlecht, oder? Aber irgendwie beschleicht mich ein schlechtes Gewissen. Ich dachte, die meisten Menschen seien erwachsen.

Sie haben mehr als 100 Werke verfasst. Gedichte, Kurzgeschichten, kleine Szenen. Wann hören Sie auf?

Ich höre auf, wenn ich keine Inspiration mehr habe. Solange ich lebe und liebe, „Auf und Ab“ erfahre, wird es immer etwas zu schreiben geben.

Ich hoffe nur, dass meine Leser nie sagen werden: Erik, wen interessiert’s? Das wäre für mich das einzige Ende von außerhalb.

Mein schwerster Feind ist die geistige Erosion. Wenn ich durch Hierarchien und Strukturen gehe, dann verliere ich überall ein wenig Rebell und Provokation. Ich werde angepasster, meine Werke werden harmloser, das bezeichnet man dann als Altersweisheit oder so. Ich habe am meisten Angst davor, irgendwann auf meine Werke zu blicken und zu sagen: Warum all das? Wenn mir der eigene Bezug verloren geht, ist es aus.

Sehen Sie, durch eine gewisse mir sehr vertraute Person, die ich sehr liebe, ist mir bewusst geworden, dass ich nicht mehr über alles schreiben kann. Vor einem Jahr noch gab es Sinnlosbeziehungen ohne Dauer und Wert, mit hohem Maß an Verachtung und Nichtigkeit meinerseits. Danach konnte ich wunderbar darüber schreiben. Aber diesmal… wünsche ich mir kein Danach. Ganz klar: Ich habe mich angepasst.