Sie haben auf der EU-Außenministerkonferenz in ihrer Laudatio davor gewarnt, die USA ohne die EU in Polen aktiv werden zu lassen. Es klang nach Unterstützung für das US-Raketensystem. Liege ich da richtig?

Nein, natürlich nicht. Damals appellierte ich eindringlich an die Einheit Europas und ihre – sicherlich nur spirituelle – territoriale Hoheit.

Polen gehört zur EU und sollte sich diplomatisch zeigen. Wohl oder Übel Bush ein Raketenabwehrsystem in Osteuropa installieren zu lassen, ist – denke ich – keine gute Idee. Die EU hat sich in den letzten Jahren langsam aber sicher auf den Weg nach Moskau gemacht, bis heute ist sie dort nicht angekommen. Ich denke, da stellt sich die Gretchenfrage: Europa, wie hast du es mit den Supermächten? Viele unterschätzen Russland und überschätzen die USA.

Betrachten wir den Grund des Aufbaus: Der Iran hat eventuell Nuklearraketen, die irgendwie über Polen hinweg die USA erreichen könnten. Gegenfrage: Könnten sie auch Russland erreichen? Putin war starker Vermittler zwischen der UNO und dem Iran, hier liegen wohl tiefere Militärinteressen im Hintergrund als ein atomarer Schlag gegen die USA.

Seit dem Irak-Krieg laufen den Sowjets und Chinesen die kleinen Nationen regelrecht in die Arme, in der Überzeugung sie seien dort vor einem Blitzkrieg sicher.

Meine Damen und Herren, wir befinden uns auf dem Weg einer Neuordnung der Welt. Die Russen verstehen ihre Rolle als Retter vor dem Retter ganz gut und zeigen diplomatische Klasse. Die Chinesen kaufen flächendeckend Ressourcen in aller Welt auf. Die EU muss der USA klar machen, dass sie die Entwicklung mit solch einem Projekt nur noch beschleunigt, ganz abgesehen von dem Wettrüsten.

Noch ein wenig große Politik. Bald findet in Heiligendamm das G8-Treffen, das Meeting der acht größten Industrienationen, statt. Wird man Sie Steine werfen und rebellieren sehen?

Nein, ich bin ja nicht blöd. Stellen Sie sich die BILD-Schlagzeile vor: DICHTER ZÜNDETE BRANDSÄTZE UND VERLETZTE ZEHN G8-GEGNER. Das will ich nicht wirklich.

Die Zeiten, in denen ich militantes Potential verspürte, sind vorbei. Heute kämpfe ich mit der Macht der Feder. Allerdings halte ich die angekündigten Demonstrationen für überflüssig. Die Leute haben zum Teil ein getäuschtes Verständnis von Demokratie.

Meine gute und langjährige Freundin Angela Merkel sagte in einer Videobotschaft, Forderungen friedlicher Demonstranten würden gehört werden. Ein seltsames Paradoxon, wenn zeitgleich Putin Homosexuelle verhaften lässt.

Vor zweihundert Jahren wurden Demonstrationen niedergeknüppelt. Ich bin ganz offen für solche Formen. Im Ernst: Sie glauben nicht, dass die Regierungschefs nur annähernd wahrnehmen werden, was die Welt von ihnen hält.

Das ist der Sinn der Freiheiten: Wir dürfen demonstrieren, weil demonstrieren nichts an den Verhältnissen ändert. Die bessere Variante wäre: alle G8-Gegner treten von heute auf morgen in eine kleine Partei ein, FDP, Grüne, es gibt genügend. Dadurch beginnt ein Prozess vor dessen Ausmaßen nicht mal die Herrn Regierungschefs und -chefinnen gewappnet wären.

Gute Gedanken, ich sehe, Sie sind auf Höhe der Zeit. Zur Abwechslung: Sie möchten Kindererzieher werden. Kein Schauspieler?

Ja, sicher überlege ich manchmal, meine Konzentration auf das Schauspielen zu legen. Vor allem, wenn es gutes Feedback gibt.

Aber ich denke mir: Ich könnte Kindererzieher, Schauspieler oder Schriftsteller werden. Das sind alles idealistische Berufe. Ob ich nun kulturell oder sozial aktiv bin, macht kaum Unterschied. Ich denke ernsthaft über ein anschließendes Schauspielstudium nach.

Höre ich da zurecht Enttäuschung?

Ein wenig. Ich bin zu den Auftritten um die Leute in Aufruhr zu versetzen. Stattdessen haben sie geklatscht. Was soll das? Was ist das für eine Kultur, wo keiner mehr aufspringt und sagt: „Halt die Fresse!“. Ein sicheres Zeichen für mangelnde Anteilnahme.

Ich war als Zuschauer bei einem Poetry Slam in Dresden. Es sprach ein studentischer Dichter vor, der seinen Groupie mithatte. Der Groupie ist nach seinem Auftritt aufgesprungen und hat ihn richtig angefeuert. Das war ein leuchtender Moment, da dachte ich: endlich regt sich einer.

Viele unserer gesellschaftlichen Probleme fußen auf Mangel an Anteilnahme. Ich meine nicht irgendwelche BILD-Gefühle und EXPLOSIV-Aktionen.

Die Leute sollen sich gegenseitig wahrnehmen, feststellen was dem anderen fehlt und was man selbst dazu beitragen kann. Wir leben stattdessen in einer nutznießerischen Lauerhaltung, gemäß dem Motto: „Ich tue dir etwas gutes, wenn du mir etwas gutes tust.“ Welch‘ trauriger Irrtum.

Ich kann nicht behaupten, dass ihre Antworten langweilig wären. Es steckt immer eine gewisse Tiefe darin. Haben Sie daran gedacht eine politische Schrift herauszubringen?

Ich habe bisher nur das Parteiprogramm der FDP aus dem Haus gebracht. Mehr nicht.

Ich denke, es gibt genügend Redner und Schriftsteller auf dieser Welt. Gemäß der Marktwirtschaft stellte ich fest, dass die Nachfrage nach Wahrheiten stagniert. Mit Lyrik verbindet sich immer der Auftrag zu kritisieren – positiv wie negativ -, aber das geschieht häufig durch Impulse.

Die eigentliche Auseinandersetzung mit der Politik findet dann in den Köpfen der Leser statt.

In einer Sonderausstellung von internationalen Künstlern im Museum of Modern Art Berlin haben Sie in Ihrer Rede gesagt: „Moderne Kunst ist sinnlos.“ Sie wurden daraufhin aus dem Saal geprügelt. Möchten Sie den Vorfall erklären?

Es gibt so einiges, was ich bisher erlebt habe, aber das übersteigt alles bei weitem. Sie glauben gar nicht, wie der Arzt geflucht hat, als er die Giacometti-Plastik aus meinem Hinterteil geschnitten hat.

Dabei war mein zentraler Leitgedanke doch gar nicht so abwegig. Auch die Künstler verrohen langsam. Nun gut, was soll ich dazu noch viel erklären.

Es zeichnet sich ab, dass alles, was mit „modern“ zu tun hat, sinnlos ist und wird. Beispiel: Sie kennen sicherlich die „moderne“ Architektur in den größeren Städten, die nur noch aus Glas und Beton besteht. Klar, vor fünf, sechs Jahren haben die Architekten argumentiert, dass diese Gebäude Brücken schlagen, in dem sie einerseits modern sind und andererseits in ihren riesigen Glasfassaden die historische Architektur spiegeln.

Aber, was ist, wenn die gesamte Stadtarchitektur nur noch aus Glasfassaden besteht? Moderne Kunst ist die billige Nutte des Kapitals! Es liegt doch auf der Hand, dass in Zeiten knapper Kassen auch bei der Kunst gespart werden muss. Zum Beispiel bei der Kreativität.

Also ich besuche jedenfalls kein modernes Museum mehr.

Im Moment ist in Sachsen die Hölle los: pikante Informationen über ein kriminelles Netzwerk von Mafia, Politikern und Beamten sind an die Öffentlichkeit gekommen. Grund zur Besorgnis?

Nein, auch hier gilt der Grundsatz: Wir haben es doch gut in Sachsen. Wir töten uns nicht, weil wir unterschiedlichen Parteien oder Religionen angehören, bei uns werden halt hier und da mal ein paar Steuergelder in den Sand gesetzt. Und ein paar Biografien geschändet. Das sind doch Sachen, die im internationalen Vergleich als Kavaliersdelikt durchgehen.

Ich bin natürlich insofern erschüttert, dass die Menschen sich nicht mehr wehren. Es ist doch trostlos, dass zum Beispiel die Leipziger nicht das Rathaus besetzen. Es interessiert keinen, nicht das fremde Leid, nicht das fremde Geld und fremde Entscheidungen.

Wir müssen uns mit der entpolitisierten Gesellschaft abfinden. Das ist der Tribut an die Demokratie.

Zurück zu ihrer Arbeit als Schriftsteller. Es fällt auf, dass Sie immer klein schreiben und ein „ß“ ist selten da, wo es sein müsste. Hadern Sie mit der deutschen Rechtschreibung?

In diesem Hinblick sind wir beide uns ziemlich nah. Sie arbeiten mit Sprache, genauso wie ich. Sie ist also der Ochse, der den Karren zieht, keine Frage, es ist nicht immer leicht, die richtigen Worte zu finden, aber im Zweifelsfall greift man auf Jugendslang zurück.

Ich schreibe fast ausnahmslos klein, weil ich der Meinung bin, dass Großbuchstaben unästhetisch sind.

Zwar stimme ich mit dem Vorteil überein, das Großbuchstaben besser lesbar sind, allerdings neige ich dazu, den Leser wie ein Kamel durch die Wüste zu treiben.

Das „ß“ ist hingegen mein unbeliebtester Buchstabe. Es hat weder einen Großbuchstaben, noch einen Stammplatz im Alphabet. Ich weigere mich, diesen Buchstaben als existent zu betrachten. Zu meiner Verwunderung wurde das „ß“ vor kurzem doch ins Alphabet aufgenommen und soll nun einen Großbuchstaben bekommen. Fürchterlich. Aber na ja, man kann die Leute nicht dran hintern, unwirklich zu arbeiten.

Paparazzi haben Sie vor kurzem mit Roland Emmerich und Steven Spielberg in einem Berliner Café gesichtet. Ein zweites Standbein?

Ja, nun, das Lyrik kein Goldesel ist, ist ja bekannt. Die Leute interessieren sich nicht mehr für private Theorien und Thesen. Vielleicht sind sie maulfaul geworden.

Jedenfalls traf ich mich im Café des Hotels „Ritz“ mit Emmerich und Spielberg. Sie haben mich gebeten in ihr neues Drehbuch reinzuschauen. Ich habe gesagt: „An der Wortwahl muss man noch feilen, das Storyboard ist sehr flüssig, dass muss man auch mit Worten unterstützen.“ Spielberg nickte, war recht angetan.

Über Preise redet man ja in Hollywood nicht mehr, seit dem die Ausgaben den neunstelligen Betrag überschritten haben. Hollywood ist so ziemlich die Symbolfigur des Kapitalismus: Produziert Reichtum am laufenden Band, nur bei den Menschen kommt nichts davon an. Traurig. Vor allem scheint sich auch die deutsche Filmbranche langsam dahinzubewegen.

Ich, für meinen Teil, versuche wenigstens etwas beizutragen, dass das System stilvoll untergeht.